BDSM am Scheideweg oder Quo vadis?

Oft hat man das Gefühl, in Zeiten des Umbruchs zu leben. Ich denke, momentan sind die Chancen, dass die Jahre 2020 und 2021 deswegen in die Geschichtsbücher eingehen, relativ groß.

Abseits des großen C. entwickeln sich jedoch noch ganz andere Dinge in Richtungen, die einen nicht unbedingt positiv in die Zukunft blicken lassen. Nehmen wir einfach mal das Thema BDSM. Schon seit längerem durch die SoG-Reihe und zurzeit noch viel mehr - und weil viele zuhause sitzen - in aller Munde bzw. Betten, liest man in bekannten Foren so Stilblüten wie „die sub entscheidet“, „Führung kommt von außen, der Wunsch nach dem Geführtwerden von innen“ oder „D/s-Beziehungen sind ungesund“. Interessante Thesen, die es an Steilheit mit der Eiger-Nordwand aufnehmen können.

Mylord und ich unterhalten uns oft über BDSM im Allgemeinen und D/s im Besonderen. Woher kommt dieser Wunsch nach Nivellierung? Warum muss immer alles ins kleinste Detail ausdiskutiert werden um es danach in Schubladen zu stecken? Warum wird die alte Schule teilweise als psychisch krank bezeichnet und warum äußern sich immer weniger von den alten Hasen zu relevaten Themen?

(BD)SM war etwa bis Mitte/Ende der 90er Jahre eine Subkultur. Ein Schelm, wer diesbezüglich denkt, dass das Internet etwas damit zu tun haben könnte, dass es langsam den Weg von der Subkultur in die Mode nahm um schließlich im Jahr 2020 im Mainstream zu landen und von diesem vereinnahmt zu werden. Keine Gefühle mehr, sondern ein Ausleben „nur im Schafzimmer“ mit Augenhöhe in allen anderen Bereichen. Fast kein Thread mehr in den noch wenigen BDSM-Foren, ohne dass diese Augenhöhe betont wird. Sie wird vor sich hergetragen, als wäre sie der heilige Gral des BDSM.

Aber ich schweife ab…

Wer den Weg einer Subkultur über die Mode in den Mainstream genauer betrachten möchte, der werfe einen Blick auf den Punk. Gegründet in den frühen 70ern in Great Britain grenzte er sich für lange Zeit vom bürgerlichen Leben ab um schließlich ab den 80ern kommerziell zu werden. Man erinnere sich nur an die Toten Hosen… wer denkt heute noch bei Campino & Co. an deren Herkunft aus dem deutsch-britischen Punk? Und nicht nur die Toten Hosen sind in der Bürgerlichkeit angekommen und haben es sich dort bequem gemacht. Einige wenige jedoch sind Punks geblieben und haben sich nicht vereinnahmen lassen. Sie haben sich lediglich zurückgezogen in ihre neue alte Subkultur.

Wie also wird die Zukunft dessen aussehen, was bis zur Jahrtausendwende landläufig als SM bekannt war? Ich habe zwar keine Glaskugel, trotzdem werde ich ein Szenario entwerfen:
Es wird immer weiter eine Nivellierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner stattfinden. Es wird weiterhin ein Schubladendenken stattfinden, um zwischen sub, brat, primal, sklavin etc. zu unterscheiden und immer weiter zu differenzieren, bis jeder seine eigene kuschelige Schublade hat.
Das old-school-bdsm, das u.a. Verantwortung und Empathie der Herren „einfordert“, wird immer mehr zurückgedrängt werden zugunsten eines anything-goes-bdsm, bei dem die subs die Führung übernehmen und das Tempo vorgeben.

Diejenigen, die sich von dem ganzen Mainstream-Zirkus nicht vereinnahmen lassen wollen, die erkannt haben, dass Toleranz leider doch eine Einbahnstraße ist und die sich nicht für jedes und alles rechtfertigen wollen, werden sich zurückziehen und das Feld den Salon-BDSMlern mit ihren Plüschhandschellen und dem Augenhöhe-Fetisch überlassen. Sie werden wieder zur Subkultur werden. Es wird sie wieder die Aura des Geheimnisvollen umgeben, des Unverstandenen, des Dogmatischen und vielleicht sogar des Fundamentalismus. Ob ich das bedauern würde? Mit Sicherheit nicht, eine Subkultur sollte niemals vom Mainstream vereinnahmt werden, denn das tötet die Ideale. Und wer will schon tote Ideale haben? Na also…

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