9 1/2 Wochen oder What a difference a day makes

Der 16. Juni 2021, ein ganz normaler Mittwoch. Mein Herr ist auf der Arbeit und wir können uns nur per Mail austauschen.

10:17 Uhr… eine Mail von Mylord

10:26 Uhr… meine Antwort an meinen Herrn
 
Danach

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Nichts. Vorerst. Kein Grund zur Panik, wir haben beide einen Job, der manchmal mehr als 100 % von uns fordert.

11:17 Uhr … eine WhatsApp von Mylord

Eine WhatsApp? Handy ist doch nur, wenn mein Herr nicht auf der Arbeit ist. Ich solle mich nicht aufregen, lese ich, er wäre auf dem Weg ins Krankenhaus und würde gleich geröntgt. Keine weiteren Informationen - wie auch? Das Bild ist auf dem Handy viel zu klein, um wirklich was zu sehen. Ich sehe Abschürfungen am linken Knöchel und hoffe, dass der (passendes Adjektiv hier einsetzen) Staplerfahrer meinen Herrn nur gestreift hat.

Ich arbeite weiter bis zur Mittagspause. Ganz kurz können wir telefonieren. Danach bin ich in Tränen aufgelöst im Büro. Mir wird angeboten, dass ich nach Hause gehen kann. Was soll ich dort? Mein Herr liegt 250 km von mir entfernt im Krankenhaus. Also arbeite ich weiter, funktioniere. Bis 15 Uhr. Danach bekomme ich die Diagnose: dreifacher Spiralbruch. Ich denke daran, was das bedeutet: OPs, Bettruhe, Schrauben, Drähte, Physiotherapie, Metallentfernung. Das körperliche war mir also klar - was würde es psychisch mit meinem Herrn machen?

Wir halten Kontakt, so gut es geht. Am Abend noch die erste OP. Mir zerreisst es das Herz, dass ich nichts tun kann, nicht mal hinfahren kann ich. Coronabedingt sind noch immer massive Besuchsbeschränkungen. Also weiter durchhalten, tippseln und telefonieren. Zwei Tage später bekomme ich einen ersten Einblick, was der Unfall angerichtet hat: bei meinem Herrn fehlen einfach 2 Tage in der Erinnerung. Die nächsten Tage ziehen sich und ich hänge mich immer mehr an Kleinigkeiten auf: das Essen im Krankenhaus, dass er vor seiner nächsten OP über sechs Stunden warten musste. Wieder bange Minuten, auch wenn es Routine ist. Aufwachen nach einer OP macht keinen Spaß - ganz im Gegenteil.

Nach ein paar Tagen darf mein Herr nach Hause. Ich bin immernoch über 200 km von ihm entfernt und kann absolut nichts tun. Dann sehe ich die ärztliche Diagnose (also nicht dreifacher Spitalbruch), sondern eine ausgewachsene Weber-C-Fraktur mit allem Drum und Dran.

Mylord ist der Meinung, dass er 6 Wochen nach dem Unfall bereits wieder ins Auto hüpfen und zu mir fahren kann. Ich versuche, ihm diesen Zahn möglichst schonend zu ziehen und langsam merkt er auch, dass zur Heilung einiges mehr benötigt wird als „Geist besiegt Körper“.

Schon während der Zeit im Krankenhaus merke ich, dass Mylord zwar da ist, aber der Herr weg. Je schwächer er wird, desto stärker werde ich - indem ich einfach nur funktioniere. Wenigstens das klappt, ein jahrelanges Antrainieren, um in Ausnahmesituationen nicht wegzubrechen. Unsere gemeinsamen Rituale geben mir Halt: das morgendliche Foto, das tracking, die nächtliche Kette. Ich merke, dass das auch ein Rettungsanker für meinen Herrn ist.

Anfang Juli nehme ich mir ein langes Wochenende frei und fahre zu meinem Herrn. Krücken, die Schiene noch am Bein, so sind immer nur ein paar Meter möglich, bevor die Erschöpfung sich bemerkbar macht und mein Herr sich setzen muss. Ich übernehme für uns beide, räume den Weg frei, hole das Frühstück von Buffet, helfe ihm beim Aufstehen und Anziehen - für mich selbstverständlich. Trotzdem merke ich, wie sich Mylord zurückzieht. Klar - wir albern noch zusammen rum, lachen über denselben Schmarren… aber es fehlt etwas. Mir fehlt etwas. Und dann ertappe ich mich, wie ich mir selber in den Hintern treten könnte… meine Wünsche sind gerade sowas von egal, mein Herr hatte den Unfall. Einen Unfall, der ihm das Leben hätte kosten können oder ihm eine Querschnittslähmung hätte einbringen können. Und ich jammer rum wegen fehlender Dominanz? Also weiter Augen zu und durch. Als Optimistin sehe ich bereits den Silberstreif am Horizont.

Drei weitere Wochen gehen ins Land. Mein Urlaub rückt näher und Mylord? Wird immer nörgeliger und unzufriedener mit sich selbst. Es geht halt doch nicht hopplahopp und alles ist wieder zusammengewachsen und funktionsfähig. Er merkt, dass die 6 Wochen, die er anvisiert hat, völlig utopisch waren und ich merke, dass ich auf seine Nörgeligkeit (die ja nichts anderes als Unzufriedenheit mit sich selber ist) aggressiv reagiere. Ich bin kein Arzt und doch habe ich eine gewisse Grunderfahrung, was solche Frakturen angeht. Die haben vor 30 Jahren noch viel länger gedauert und nicht selten blieben gravierende Spätschäden zurück. Von daher danke ich der heutigen Unfallchirurgie, die vieles (aber halt nicht alles) möglich macht. Ich versuche, meinen positiven Gedanken mitzuteilen, doch je positiver ich denke, desto frustrierter wird mein Herr.

An meinem ersten Urlaubswochenende hole ich Mylord für ein paar Tage zu mir. Es ist anstrengend, die Wohnung ist nicht mal ansatzweise behindertengerecht. Aber das ist machtbar. Anstrengend ist mein Herr, der angefangen hat, sich in seinen schlechten Gedanken zu suhlen und mir damit teilweise wirklich auf die Nerven geht. Denn erstens kann an der Situation gerade niemand etwas ändern und zweitens versuche ich es ihm so angenehm wie möglich zu machen. Er nimmt die Hilfe zwar an, aber ich merke, dass es ihm überhaupt nicht passt. Denn so gern er sich ansonsten von mir bedienen (im positiven Sinn) lässt, jetzt ist er darauf angewiesen. Und das kratzt ziemlich heftig an seinem Eigenbild. Mir macht es nichts aus, ihm zu helfen - mir macht es jedoch sehr wohl etwas aus, dass er es nicht annehmen kann.

Am Montag fahre ich meinen Herrn wieder nach Haus und dann erfolgt eine ausgiebige Kopfwaschung bei mehreren Tassen Kaffee. Ich glaube, er hat selber überhaupt nicht bemerkt, dass er auf dem besten Weg war, zu einem nörgeligen, mauligen und quengelnden Menschen zu werden, der an allem etwas auszusetzen hat. Auf der Heimfahrt war ich das erste Mal seit Wochen wieder guter Dinge, dass unter dem ganzen Verband doch noch mein Herr vorhanden ist.

Das nächste gemeinsame Wochenende zwei Wochen später war dann so, als hätte man ihn ausgetauscht. Die ganzen kleinen Dinge, die die Serva so sehr vermisst hatte, waren wieder da: der Nackengriff, der Blick, das abendliche Spanking, sogar eine kleine Session war drin. Da hat es meinen Herrn auch garnicht gestört, dass ich ihm beim Verbandwechsel geholfen habe oder geguckt habe, dass es ihn in der Küche nicht mit den Krücken legt. Was mich noch gefreut hat: ich habe gesehen, wie gut es Mylord getan hat und noch immer tut, dass er wieder (m)ein Herr sein kann. Noch etwas gehandikapt, aber es geht wieder so vieles. Und samma ehrlich: D/s ist ja Gottseidank nicht nur Sex, sondern so unendlich vieles mehr.

Morgen werden ich ihn wieder nach Haus bringen, am Mittwoch kommt ein Teil der Schrauben raus. Am übernächsten Wochenende sollte auch das Autofahren wieder klappen, dann kann Mylord selber wieder zu mir fahren. Es macht ja Spaß, in die durch die Gegend zu kutschieren, trotzdem fühlt es sich irgendwie komisch an, so auf der „falschen“ Seite des Schaltknüppels zu sitzen.

Wenn es wirklich klappt an dem Wochenende, dann sind 9 1/2 Wochen rum, in denen ich ein paar Mal wirklich Angst um meinen Herrn hatte. Angst, weil er vielleicht doch schwerer verletzt sein könnte, als es den ersten Anschein hatte und Angst, ihn als meinen Herrn zu verlieren.

Und doch haben uns diese 9 1/2 Wochen noch ein bißchen mehr zusammengeschweißt. Mein Herr hat (hoffentlich) gemerkt, dass es sich auf mich verlassen kann, auch wenn der Himmel gerade dunkelschwarz wird. Und ich habe gelernt, dass ich ihm durchaus auch mal mehr als deutlich die Meinung sagen darf, ohne dass es gleich zum Eklat kommt.

Ich habe meinen Herrn wieder - und ein namhafter Hersteller von Elektrogeräten samt seiner Marketingfirma kann sich auf eine Klage wegen seelischer Grausamkeit einstellen. Wenn der Herr anfängt, Werbejingles zu singen, denkt man ernsthaft über den Kauf einer Fabrik für Panzertape nach ;-)

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